Johann Albrecht Bengel
Gott hat seinen eingebornen Sohn gesandt in die Welt, daß er die Sünde und alles
Unheil, in das der Mensch sich selber gestürzt hat und aus dem er sich nicht wieder
heraushelfen kann, wegnehmen, Gerechtigkeit, Leben und Seligkeit wiederbringen und den
Menschen zu dem verlorengegangenen Bild Gottes und zur Gemeinschaft mit dem ewigen Licht
wieder herstellen sollte. Dieses Gebot des himmlischen Vaters hat der Sohn willig
vollbracht, indem er sich für unsre Sünden selbst geopfert, das Gesetz vollkommen
erfüllt, die Strafe getragen, uns von dem Fluch befreit, mit Gott versöhnt, von der
Gewalt der Sünden, des Todes und des Teufels erlöst und die Gabe des Heiligen Geistes
und des ewigen Lebens erworben hat. Durch das Verdienst, die Macht und die Fürbitte
dieses einigen Mittlers kommen wir zu Gott; wir können solchen Verdienstes nicht anders
teilhaftig werden als durch eine herzhafte Ergreifung und Aneignung desselben. Durch den
Glauben an den Namen Jesu Christi, des Sohnes Gottes, werden wir gerecht und selig und
frei von unsern Sünden und deren Schuld, vom Fluch, von der Herrschaft (Eph. 2, 2), vom
bösen Gewissen und allem Unheil. Es kommt auf keine Kreatur und deren fremdes oder
eigenes vorangehendes, mitwirkendes oder nachfolgendes Werk an, sondern allein auf den
Glauben. Solchen Glauben haben nicht alle, die ihn im Munde führen. Er ist eine Gabe, ein
Werk, eine Kraft und ein Licht Gottes, durch das der Mensch erleuchtet, belebt und bewogen
wird, bei tiefster Erkenntnis und Empfindung seines eignen Verderbens, seiner Armut und
Ohnmacht, bei demütiger Verleugnung eigner Tüchtigkeit und Würdigkeit und bei sehnendem
Verlangen nach lauterer Gnade in dem einigen, vom Vater dargestellten und durchs Wort dem
zagenden Herzen angepriesenen Mittler alle Gerechtigkeit, Kraft und Seligkeit zu suchen.
Man wird sich damit schützen und bewahren vor dem Zorn Gottes, vor der Anklage des
Gesetzes und des Gewissens, vor dem Fluch und der Herrschaft der Sünde und vor dem
Anspruch des Todes und der Hölle.
Wo solcher Glaube ist, da ist unfehlbar und unausbleiblich eine gründliche
Änderung des Sinnes, ein Mißfallen an allem Ungöttlichen und ein Ekel vor
allem eitlen Wesen, eine Untertänigkeit des Herzens gegen Gott und seine heiligen Gebote,
ein kindlicher, freiwilliger, ehrerbietiger, gelassener und dankbarer Geist gegenüber
Gott, dem himmlischen Vater, ein vorsichtiger Wandel vor seinem Angesicht, ein
vertraulicher Umgang mit ihm im Gebet, eine sorgfältige Abschirmung seiner selbst
gegen alle Lockungen des Fleisches, der Welt und ihres Fürsten, ein milder, sanfter,
liebreicher und wohltätiger Sinn gegen den Nächsten und eine stete Begierde, im Guten
immer fester und völliger zu werden. Obwohl nun der Glaube ohne dies alles nicht sein
kann, so ist's doch der Glaube allein, der Christus ergreift und uns gerecht und selig
macht. Im Gegensatz dazu ist allein der Unglaube die Formal- und Hauptursache der
Verdammnis der Menschen (Mark. 16; Joh. 3); denn ein Ungläubiger will wider die
Krankheit seiner verdammlichen Sünden die in Christus bereitete Arznei nicht bei sich
wirken lassen.
Quelle: glaubensstimme.de